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Bachelor im Schuhmacherhandwerk?

Nachtrag: Zum 1.1.2020 wurde die Bezeichnung Meister um die Bezeichnung „Bachelor Professional“ ergänzt. Jetzt also doch: Bachelor im Schuhmacherhandwerk!.

Eins vorab: Nein, es gibt keinen Bachelor im Studiengang Schuh, statt dessen gibt es schon lange Schuhmachermeister.  Berufliche und akademische Bildung sind laut Bundeswirtschaftsministerium gleichwertig. Dies wurde auch 2014 für jedermann sichtbar gemacht, von manchen aber immer noch nicht wahrgenommen. Neue Meisterbriefe enthalten seit 4 Jahren den Hinweis, dass der Abschluss als Meister im Deutschen und Europäischen Qualifikationsrahmen (DQR / EQR) dem Niveau 6 entspricht.

 

Eben dieser Stufe ist auch der Bachelor zugeordnet, höhere Stufen sind nur noch Doktor und Professor. Die ersten Meisterbriefe mit dem Hinweis auf das DQR-Niveau hat  die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka im Rahmen der Meisterfeier der Handwerkskammer Dortmund am 22. Februar 2014 überreicht. Ältere Meisterbriefe enthalten diesen Hinweis natürlich noch nicht, da war die Politik noch nicht so weit. 


Gelernt ist gelernt

Die Ausbildung zum Schuhmachermeister beinhaltet unter anderem das theoretische Wissen zur Anatomie des Körpers, insbesondere von Knochenbau, Muskelbau und biomechanischen Abläufen, Störungen und Krankheiten am Fuß, ferner Materialkunde, insbesondere Gerbung und Lederarten, Gummi- und Kunststoffarten und -herstellung (und was wofür nicht geeignet ist), Klebstoffkunde, Schaftbau, Schuhgeschichte, Schuhdesign, Schuhherstellungsverfahren, Vor- und Nachteile verschiedener Schuhkonstruktionen.

 

Darauf folgt die praktische Anwendung und Umsetzung dieser Kenntnisse mit zum Teil sehr speziellen Werkzeugen und (Näh-)Maschinen in Produkte und Dienstleistungen,.

 

Dazu kommen auch noch Ausbildung, Berufspädagogik, Betriebswirtschaft, Buchführung, ebenso die Kenntnis, selbstständige Beachtung und Umsetzung gesetzlicher Auflagen und Bestimmungen. 

Was nützt Ihnen das?

Dieses umfangreiche Wissen kommt bei jeder Reparatur zum Einsatz. Glauben Sie nicht?

 

Schon bei der einfachsten Absatzreparatur kontrollieren wir bei jedem Schuh, ob die Absätze die gleiche Höhe aufweisen. Denn unterschiedliche Absatzhöhen sind ein „Medikament“ aus der Orthopädie, mit dem ein durch Beinlängendifferenzen entstandener Beckenschiefstand ausgeglichen wird. Bei gesunden Beinen wirken sich stärkere Ungleichheiten genauso schädlich aus. Das ist nur eines von vielen Beispielen, warum jeder Schuh in kundige Hände gehört, die den Auftragseingang mit Fachkenntnis prüfen.

 

Hier geben wir einen kleinen Einblick, was bei einer Ledersohelenreparatur zu beachten ist.

 

Eine der Machart entsprechende Reparatur, Kontrolle und Wahrung des vom Schuhhersteller vorgegebenen „Stand" des Schuhes (das ist ein die Statik und Bewegungsablauf zusammenfassender Fachausdruck), des Designs, der Sohlenstärke, der Farbe, des Pflegezustands des  Oberleders und entsprechende Anpassung der Ausführung der Arbeit gehören ebenfalls zu jeder Reparatur dazu.

 

Ebenso die Wahl des richtigen Klebstoffs. Für alle für die Herstellung und Reparatur von Schuhen geeigneten Materialien gibt es hervorragende, ständig weiterentwickelte  Hochleistungsklebstoffe für die Schuhreparatur. Sekundenkleber verwenden wir bestimmt nicht für Sohlen oder Absätzflecke, da er das Material aushärtet, brüchig macht und bei der nächsten Reparatur für unnötige Probleme sorgt.

Bescheidenheit ist eine Zier...

....doch weiter kommt man ohne ihr. So unterschätzen viele Verbraucher die Fachkompetenz und das Können von Handwerksmeistern im Allgemeinen und Schuhmachermeistern im Besonderen, statt sich deren Wissen zu Nutze zu machen und Empfehlungen einzuholen. 

 

Mittlerweile gibt es immer weniger „echte“ Schuhmachermeister, übrig bleiben „Absatzbars“, „Mister irgendwas“, Schlüsseldienste oder Ähnliches. Die phantasievollen Namen rühren übrigens daher, das diese Betriebe sich laut Handwerksordnung gar nicht „Schuhmacherei“ nennen dürfen – mangels Niveau 6. Das dürfen zum Schutz der Verbraucher vor Etikettenschwindel nur Handwerksbetriebe, hinter denen ein echter Handwerksmeister im Schuhmacherhandwerk mit Brief und Siegel steht. Das gilt entsprechend auch für Bäckereien, Metzgereien, Schneidereien usw. Umso ärgerlicher, das der von schlechter Arbeit enttäuschte Verbraucher „nie wieder“ zum Schuhmacher geht, unwissend, das er noch nie bei einem war.

 

Auch aus Respekt vor der jahrhundertelangen Tradition empfinden wir „Schuhmacherei“ als  eine Auszeichnung, die solche Betriebe für Maßschuhe und niveauvolle Reparaturen und Pflegemittel empfiehlt. „Atelier“, „Manufaktur“ oder (doppelt gemoppelt) „Maßschuhmacherei“ mag phantasievoller klingen, eine ganz einfache „Schuhmacherei“ ist vor diesem Hintergrund aber nach wie vor das höchste Niveau, das im Schuhmacherhandwerk zu erreichen ist.

 

In einer zunehmend akademischer werdenden Welt war es für den ein oder anderen hoffentlich mal interessant zu erfahren, worum es sich bei einem „Schuhmachermeister“ oder einer „Schuhmacherei“ eigentlich handelt. 

Zitat aus  dem Lehrbuch „Das Schuhmacherhandwerk“

 

Wie einer des anderen Arbeit bewertet

 

Fast jeder Beruf glaubt, ihm sei der Fluch schwerster Mühsal der Arbeit zugefallen, denn die Plage unseres Schaffens ergründen wir freilich zu jeder Stunde, bei dem fremden dagegen sehen wir meist nur die Frucht des Tagwerks und den Feierabend. Am höchsten steigt solche gegenseitige Ungerechtigkeit bei grundverschiedenen Berufen und sie ist hier gewiß so alt wie die Teilung selber. Wer sich durch seiner Hände arbeit nährt, der glaubt kaum, daß Geistesarbeit den gleichen Schweiß kosten könne, er ahnt nicht, daß der Geistesarbeiter inwendig schwitzt; umgekehrt achtet der Mann des geistigen Berufes die Mühen des Handwerkers viel zu klein. So erwächst dort Neid und hier Hoffart, überall aber ein ungerechtes Urteil über die Ehre fremder Arbeit.

ARNO HÄSSELBARTH, Weimar, 1928