Gestatten Sie uns zum besseren Verständnis einen kurzen historischen & technischen Exkurs.
Über Jahrhunderte (ca. 500 - 1500) wurden hochwertige Schuhe „gewendet“genäht. Sie wurden auf dem Leisten mit dem Futter nach außen gezwickt, dann vernäht und anschließend umgestülpt – daher rührt auch der noch heute geläufige Ausdruck:
„Umgekehrt wird ein Schuh daraus.“
Gewendet genähte Schuhe wurden seit 1500 immer seltener, aber dennoch bis in die 1920er Jahre fabriziert – besonders bei hochwertigen Damenschuhen.
Heute findet sich diese Technik noch bei hochwertigen Ballett- und Spitzenschuhen, wo Flexibilität und zugleich hohe Belastbarkeit gefragt sind.
Diese Machart entstand aus einem banalen, praktischen Grund:
Die Hände des Schuhmachers reichen im Inneren nicht bis an die Spitze des Schuhs. Daher musste der Schaft mit dem Futter nach außen auf den Leisten gezwickt (aufgezogen), von außen genäht und anschließend umgestülpt werden, um die Naht überhaupt ausführen zu können.
Der gewendet genähte Schuh hatte jedoch entscheidende Nachteile: Das Material musste flexibel genug sein, den Schuh umzustülpen. Solide, feste Materialien boten zu viel Widerstand.
Die Sohle ließ sich auch nicht austauschen, da Brandsohle und Laufsohle identisch waren. Ein Schaden an der Sohle bedeutete meist das Aus für den gesamten Schuh.
Mit der Idee eines zusätzlich angenähten Rahmens, zum Ende des 15. Jahrhunderts, kam der Fortschritt: Nun konnte endlich mit dem Oberleder nach außen gearbeitet (genäht) werden. Man sparte auch das aufwendige Umstülpen, das den Schuh mitunter hohen Belastungen aussetzte.
Die Laufsohle wiederum wurde indessen in einem zweiten Arbeitsschritt außen am Rahmen mit der sogenannten Doppelnaht angenäht und konnte fortan bei Bedarf problemlos ersetzt werden – ohne Formverlust, beliebig oft.
Die zum Nähen erforderliche Einstechnaht entsprach in Technik und Ausführung, inklusive aller Vorarbeiten, der des gewendeten Schuhes.
Der Pechdraht wurde aus mehreren Hanffasern und Pech auf die gewünschte Stärke verdreht. So entstand ein 1,5 bis 2 Meter langer, wasserabweisender Nähfaden, ideal für die dauerhafte Verbindung von Schaft, Rahmen und Sohle.
Die Laufsohle wurde nun in einem zusätzlichen Arbeitsschritt außen am Rahmen vernäht.
Sie konnte von nun an beliebig oft erneuert werden, ohne die Form und Stabilität des Schuhs zu beeinträchtigen.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts existierte keine technische Alternative zur handgearbeiteten Rahmennaht.
In einer Zeit tiefgreifender technischer Umwälzungen – heute als industrielle Revolution bekannt – suchte man auch im Schuhmacherhandwerk nach effizienteren Fertigungsmethoden. Zwei Entwicklungen sollten dabei wegweisend werden: Die Nähmaschinen von Lyman Reed Blake und Charles Goodyear Jr. ermöglichten erstmals eine maschinelle Verbindung von Sohle und Schaft – und legten damit den Grundstein für die industrielle Schuhproduktion.
Der amerikanischer Schuhmacher und Erfinder entwickelte 1858 eine Nähmaschine, mit der Schaft, Brandsohle und Laufsohle in einem einzigen Arbeitsgang direkt miteinander vernäht wurden.
Diese „Durchnähnaht“ reduzierte die Herstellungskosten erheblich, da sie den aufwendigen Prozess des Rahmen- und Sohlenannähens überflüssig machte. Der Schuh konnte vollständig maschinell gefertigt werden – ideal für die beginnende industrielle Produktion in den USA.
1859 verkaufte er das Patent an Gordon McKay, unter dessen Namen das Verfahren als „McKay-System“ weite Verbreitung fand.
Die 1875 patentierte Goodyear-Welt-Maschine überzeugte durch ihre Technik und das ausgeklügelte Vertriebskonzept.
Der Erbe des Reifenproduzenten erkannte früh das Potenzial und setzte auf eine Lizenzstrategie: Schuhfabriken konnten die Maschine nicht kaufen, sondern mussten sie gegen Gebühr nutzen – inklusive technischer Betreuung. So sicherte sich Goodyear die Kontrolle über Qualität und Verbreitung.
Die hohe Reproduzierbarkeit, der geringe Ausschuss und die Möglichkeit zur kosteneffizienten Massenfertigung rahmengenähter Schuhe führten dazu, dass sich das Verfahren im Premiumbereich schnell als industrieller Standard etablierte.
Für den Maßschuhmacher hat die Goodyearmaschine Nachteile.
Die Goodyear-Machart ist auf standardisierte, industrielle Fertigung ausgelegt und arbeitet mit vorgefertigten, ebenen Brandsohlen. Für Maßschuhe, bei denen die Brandsohle individuell an die Fußform angepasst wird, ist diese Technik daher ungeeignet.
Die Goodyearmaschine erlaubt keine oder nur mit erheblichem Aufwand Anpassungen an unregelmäßige Formen oder Höhenunterschiede – etwa beim Einsatz variierender Materialien. Doch genau das ist im Maßschuhbau die Regel.
Jeder Schuh ist ein Unikat, keine Serienfertigung. Für die notwendige Flexibilität und Feinabstimmung ist die Goodyear-Technik daher nicht gedacht.
Die sogenannte Einstechbahn – also der kleine Damm auf der Brandsohle, beim handrahmengenähten Schuh aufwändig rangiert und vorgestochen – wird in der industriellen Fertigung durch ein aufgeklebtes Gemband ersetzt. Dieses Band wird auf die Brandsohle geklebt und bildet den Damm für die Einstechnaht. Die Verbindung zwischen Rahmen, Obermaterial und Einstechdamm erfolgt also nicht durch die Brandsohle hindurch, sondern sitzt auf dem Gemband, das mit der Brandsohle verklebt ist.
Die Naht, die Rahmen und Schaft verbindet, liegt aber dennoch geschützt im Inneren – zwischen Brandsohle und Rahmen – und durchstößt die Laufsohle nicht. So bleibt sie von außen unsichtbar und besser vor Feuchtigkeit geschützt.
Im Gegensatz dazu ist die Blakemaschine nicht an diese Einschränkungen gebunden.
Sie eignet sich sogar hervorragend zum Annähen von Rahmen.
Zwar ist die Blakemaschine bei Konfektionsschuhen vor allem für durchgenähte Schuhe, also das direkte Durchnähen von Schaft, Brand- und Laufsohle bekannt, da Schuhe bei dieser Arbeitsweise schneller und damit günstiger hergestellt werden können.
Doch diese Konstruktion bringt einen wesentlichen Nachteil mit sich: Durch den durchgehenden Stichkanal von innen nach außen kann Feuchtigkeit bei Nässe ungehindert eindringen – nasse Füße sind die Folge.
Nicht nur in der Massarbeit, auch einige industrielle Schuhhersteller mit Fokus auf hochwertige Schuhe stellen aus diesem Grund mit der Blakemaschine Schuhe mit rahmengenähtem Aufbau her.
Bei der Herstellung sind durch das dafür nötige Ausleisten und Einleisten allerdings zusätzliche Arbeitsgänge nötig, was den Herstellungsprozess aufwändiger macht.
LISTE DER VORTEILE BLAKE-RAHMENGENÄHTER MASSSCHUHE:
Typisch für alle rahmengenähten Macharten ist der Hohlraum zwischen Brandsohle und Lauf- oder Zwischensohle. Dieser entsteht konstruktionsbedingt und wird in hochwertigen Maß- und Qualitätsschuhen mit dem sogenannten Ausball aufgefüllt – meist eine elastische Korkmischung. Sie sorgt dafür, dass der Fuß eine ebene, stabile Auftrittsfläche erhält, die sich mit der Zeit individuell an den Fuß des Trägers anpasst.
Der Ausball hat einen entscheidenden Einfluss auf den Tragekomfort und die Langlebigkeit eines Schuhs – deutlich mehr, als etwa die Frage, ob eine Naht von Hand oder maschinell ausgeführt wurde.
Der individuell an den Fuß angepasste Ausball verteilt nach kurzer "Eintragezeit" den Druck noch gleichmäßiger, nimmt die Fußform auf und trägt wesentlich zu Komfort, Passform und Langlebigkeit des Schuhs bei – ein unsichtbares, aber zentrales Detail.
Übrigens benötigt ein gesunder Fuß darüber hinaus keine stützenden Einlagen, solange der Schuh korrekt gebaut ist. Stützsysteme von der Stange, die nicht auf die individuelle Muskulatur und Statik abgestimmt sind, sind weder notwendig noch sinnvoll.
Der Ausball passt sich individuell an den Fuß des Trägers an. Der Verformungsprozess – also das sogenannte Einlaufen – beginnt bereits in den ersten Tagen. Innerhalb weniger Wochen bildet sich ein individuelles Fußbett, das sich exakt an Druckverhältnisse und Fußform anlegt.
Nach etwa ein bis zwei Monaten verlangsamt sich dieser Anpassungsprozess, und nach rund einem halben Jahr sind kaum noch Veränderungen feststellbar.
Die Stärke und Form der Verformung hängen dabei von Körpergewicht, Gangbild, Druckverteilung, Muskelstruktur und Knochenbau des Trägers ab – jeder Schuh wird so zu einem maßgeschneiderten Innenraum, der exakt den individuellen Anforderungen entspricht.
Leder und Kork haben sich für die Ausbildung eines individuellen Fußbetts seit Jahrhunderten bewährt. Sie reagieren präzise auf Druck, passen sich dauerhaft an – und bestehen zudem aus natürlichen, nachwachsenden Rohstoffen.
Weniger geeignet sind Materialien, die
Der Ausball stimmt sich individuell auf den Träger ab – abhängig von Materialwahl, Ausarbeitung und Platzierung. So entsteht ein Innenleben, das sich in kurzer Zeit optimal an die Fußform, das Körpergewicht und die Gangart anpasst.
Der Wunsch nach immer leichteren und weicheren Schuhen hat die Entwicklung elastischer Materialien vorangetrieben, die heute in vielen Konfektionsschuhen zum Einsatz kommen. Diese Materialien fühlen sich im ersten Moment angenehm an: Sie geben sofort nach, passen sich dem Fuß scheinbar individuell an und vermitteln ein weiches, federndes Laufgefühl.
Doch dieser Komfort ist kurzlebig. Elastische Materialien kehren nach jeder Belastung sofort in ihre ursprüngliche Form zurück – auch nach Monaten. Eine dauerhafte Anpassung an die Fußform, wie sie für ein echtes Fußbett notwendig wäre, findet nicht oder nur in sehr geringem Maße statt. Besonders beanspruchte Zonen können sich nicht „einprägen“, oder das Material ermüdet so stark, dass die Wirkung verloren geht.
Hinzu kommt ein biomechanischer Nachteil: Beim Gehen muss der Fuß den Abstoßdruck auf eine kleinere, nachgiebige Fläche ausüben. Der notwendige Gegendruck für eine natürliche Gangabwicklung fehlt oder ist deutlich reduziert – der Fuß arbeitet ineffizienter und verbraucht mehr Kraft, was auf Dauer ermüden kann.